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Bundesaufnahmeprogramm: Enttäuschung und Leid sind unendlich groß
Legale Fluchtwege nach Deutschland für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen – das versprach das Bundesaufnahmeprogramm. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie Refugio Stuttgart stellten aufwendige Aufnahmeanträge für ihnen bekannte schutzbedürftige Personen. Doch nur wenige erhielten Rückmeldung. Lediglich ein Bruchteil konnte Deutschland erreichen, bevor das Programm Ende 2024 gestoppt wurde. Dieser Umgang mit den Betroffenen ist nicht zu akzeptieren.
Nach dem Abzug der internationalen Truppen und der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat sich die Situation der afghanischen Zivilbevölkerung kontinuierlich verschlechtert. Insbesondere Frauen und Mädchen erleben täglich Verletzungen ihrer grundlegenden Freiheiten und Menschenrechte. Sie befinden sich in Lebensgefahr – genau wie Journalisten und Menschenrechtsaktivistinnen, Rechtsanwälte und Frauenrechtlerinnen.
Mit dem Bundesaufnahmeprogramm (BAP) wollte die letzte Bundesregierung ihre humanitäre Verantwortung ihnen gegenüber wahrnehmen. Ihr Versprechen, monatlich 1000 Aufnahmezusagen zu erteilen, weckte große Hoffnung bei den Betroffenen. Für viele von ihnen war das BAP die einzige Überlebensperspektive.
Refugio Stuttgart meldete acht gefährdete Personen mit Familien an das Programm
Doch bereits die Antragstellung gestaltete sich schwierig. Die Verantwortung für diesen aufwendigen Prozess wurde auf zivilgesellschaftliche sogenannte Meldestellen übertragen. Eine dieser Stellen war die Bundesarbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.), die Dachorganisation der psychosozialen Zentren. Über die BAfF e.V. meldete auch Refugio Stuttgart acht besonders gefährdete Personen mit Familien an das BAP. Über ihre Notlage hatten uns Mitarbeiter:innen oder Klient:innen informiert. Insgesamt wurden so für 25 Personen Anträge auf humanitäre Aufnahme gestellt.
Der Meldeprozess war sehr arbeitsintensiv: der online auszufüllende 40-seitige Fragenkatalog erwies sich oft als unpassend. Um ihn richtig ausfüllen zu können, war der Besuch von Schulungen nötig. Als Belege mussten unzählige Dokumente beigebracht und hochgeladen werden – doch aus Sicherheitsgründen konnte nichts zwischengespeichert werden. Das alles bedeutete einen hohen Zeitaufwand, der von der Bundesregierung nicht vergütet wurde. Pro gemeldete Hauptperson mit Familie fielen im Schnitt 20 Arbeitsstunden an.
Betroffene warten monatelang auf Rückmeldung – meist vergeblich
Der folgende Auswahlprozess war intransparent und dauerte Monate. Derweil lebten die von uns gemeldeten Personen weiter unter stets unwürdigeren Bedingungen: versteckt, in ständiger Angst, entdeckt, gefoltert oder ermordet zu werden. So wurden wir sehr direkt mit aktuell stattfindenden Menschenrechtsverletzungen konfrontiert, denen wir machtlos gegenüberstanden.
Mindestens zwei der von uns gemeldeten Familien wurden schließlich kontaktiert, standen Mitte 2024 kurz vor einer Aufnahmezusage. Dann allerdings unterbrachen die Behörden die Bearbeitung – und stoppten das Programm schließlich ganz.
Anstelle der versprochenen 24.000 konnten so bis Oktober 2024 lediglich 682 Personen die Bundesrepublik erreichen. Über die BAfF wurden deutschlandweit 110 besonders gefährdete Personen gemeldet, nur zwei davon schafften es bis nach Deutschland. 12 Familien sind mit einer Aufnahmezusage in Pakistan und warten auf eine Visumserteilung (Stand März 2025). Doch die neue Bundesregierung hat im April angekündigt, auch diese getroffenen Aufnahmezusagen nochmal einzeln prüfen zu wollen.
Menschen zu helfen, die wegen ihres Engagements in Lebensgefahr schweben – das war der vielversprechende Ansatz des BAPs. Wir haben alles getan, um diese Chance zu nutzen. Dass das Programm derart scheiterte, ist für uns enttäuschend – für die Betroffenen bedeutet es unendlich großes, unentschuldbares Leid.