
NEWS
Pressemitteilung: Stopp des Familiennachzugs nimmt Folterüberlebenden Hoffnung und Perspektive
Pressemitteilung anlässlich des Tags zur Unterstützung von Folteropfern von Refugio Stuttgart e.V.
Stuttgart, den 24.06.25. Im Mai stoppte die Bundesregierung den Familiennachzug für subsidiär schutzberechtigte Geflüchtete. Viele von ihnen haben Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen erlebt. Oft gibt vor allem die eigene Familie ihnen Halt. Anlässlich des Tags zur Unterstützung von Folteropfern am 26. Juni fordert Refugio Stuttgart e.V. daher das Ende dieser Maßnahme.
Herr A. hat seine Kinder seit 6 Jahren nicht gesehen. Er leidet in Folge von Foltererfahrungen im Irak an einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung mit komorbid auftretender Depression. Er berichtet, dass seine Familie im Irak weiterhin regelmäßig von bewaffneten Personen aufgesucht wird, die nach ihm fragen.
„Wie Herrn A. geht es vielen Personen, die bei Refugio Stuttgart Hilfe suchen“, erklärt Ulrike Schneck, Vorstand und Fachliche Leitung des Psychosozialen Zentrums für traumatisierte Geflüchtete, „einige wurden in ihren Heimatländern über lange Zeit unrechtmäßig inhaftiert oder mussten getrennt von ihren Familien leben, um diese nicht zu gefährden.“
Fast 23% der Klient:innen, die im Jahr 2024 bei Refugio Stuttgart in Behandlung waren, haben in ihren Heimatländern schwere Folter erfahren. In einer Studie aus dem Jahr 2023 unter Geflüchteten auf der Balkanroute berichtet sogar jeder Dritte von Folter. Foltererfahrungen haben besonders gravierende psychische Folgen – daher gelten Betroffene als besonders schutzbedürftig im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie.
Berichten von Folter wird oftmals kein Glauben geschenkt
Dennoch erhalten längst nicht alle von ihnen in Deutschland Asyl oder einen Flüchtlingsstatus. „Aufgrund der psychischen Traumatisierung fällt es vielen schwer, in der Anhörung über die Foltererfahrung zu berichten“, sagt Diplom-Psychologin Schneck, „In anderen Fällen wird den Berichten nicht geglaubt, oder es wird bezweifelt, dass die Person bei einer Rückkehr erneut Gefahr laufen würde, der Folter ausgesetzt zu sein.“
In all diesen Fällen wird der Antrag auf Flüchtlingsschutz abgelehnt und die Person erhält allenfalls einen subsidiären Schutz oder einen anderen vorübergehenden Schutz. Für Menschen mit diesem Aufenthaltsstatus hat die Bundesregierung nun den Familiennachzug ausgesetzt.
Sorge um Verwandte in der Heimat erschwert Ankunft und Genesung
Dabei sind Sehnsucht und Sorge um in der Heimat verbliebene Verwandte eine zusätzliche Belastung. „Die Familien unserer Klient:innen leben oft noch unter den Bedingungen, die zur Flucht geführt haben“, erklärt Ulrike Schneck. „Häufig sind sie einer andauernden Gefahrensituation ausgesetzt, für die unsere Klient:innen sich – wie im Fall von Herrn A. – verantwortlich fühlen.“ Die Folge: Traumafolgen verfestigen sich und ein Neuanfang kann nicht gelingen.
Gerade bei Foltererfahrungen sind also umfangreiche medizinische, psychologische, rechtliche und soziale Rehabilitations-Maßnahmen nötig. Zu ihnen hat sich Deutschland durch Unterzeichnung der UN-Antifolterkonvention verpflichtet. Die weitgehende Aussetzung des Familiennachzugs hingegen ist unmenschlich und verhindert eine soziale Rehabilitation. Refugio Stuttgart e.V. fordert daher die Bundesregierung auf, diese Maßnahme zurückzunehmen und ihre Verpflichtungen aus der UN-Antifolterkonvention einzuhalten.
Kontakt:
Ulrike Schneck, Fachliche Leitung Refugio Stuttgart e.V., u.schneck@refugio-stuttgart.de
Refugio Stuttgart e.V. ist ein Psychosoziales Zentrum für traumatisierte Geflüchtete mit Hauptstelle in Stuttgart und Regionalstelle in Tübingen.
www.refugio-stuttgart.de
Hintergrundmaterial:
Vukčević Marković, Bobić, & Živanović (2023): „The effects of traumatic experiences during transit and pushback on the mental health of refugees, asylum seekers, and migrants“